18 – Die Moritat der Mabel Schneider

Die Wüste

Go West

Ich weiß nicht, ob Sie das schon wussten, aber Tatsache ist, dass am anderen Ende vom Zwischenreich von THE ROCK New York liegt. Es gehört sogar auch der ganze Rest von Nordamerika dazu und wahrscheinlich sogar noch Mittelamerika. Keine Ahnung, ob das schon immer so war, aber es ist ja auch noch nie jemand auf die Idee gekommen, sich mal zu erkundigen.

Aber egal, dort lebt jedenfalls eine junge Dame mit auffallend blondem Haar, schön hochgesteckt und auch ansonsten sieht sie echt gut aus. Alles schön prall und rund an den richtigen Stellen, trotzdem Wespentaille und vorzugsweise trägt sie schwarz. Heute in glänzendem Taft, mit Rüschchen und einem Halbschleier am schwarzen Hütchen. Sie sitzt auf ihrem Gepäck und wartet auf den Zug. Ihr Name ist Mabel. Oder zumindest nennt sie sich so.

Bis zu diesem Tag war sie die Mätresse des Geschäftsmannes James Ensor, um genau zu sein, war sie es bis eben. Jetzt schickt er sie nach Westen zu einem Geschäftsmann, der auf einer Ranch lebt, die mal „Sweet Water“ geheißen hatte und so groß ist wie das Königreich Bayern. Sein Name ist BIG DADDY SCHULTZ und BIG DADDY SCHULTZ ist neuerdings verwitwet.

Beziehungsweise schon wieder verlobt, und zwar mit Mabel. Und deshalb sitzt sie jetzt hier und wartet auf ihren Zug. Und weil sie eine dumme Gans ist, wartet sie auf eine Nachricht von Habacook, einem Mann, dem sie geschworen hatte, ihn bis an sein Lebensende zu hassen.


New Neuschwanstein

 Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.

Das sage ich mal so, weil das mit dem Gesetz ist so eine Sache. Vor allen Dingen, wenn Du von New York aus mit dem Zug nach Westen fährst, dann ist das so eine Sache mit dem Gesetz. Irgendwo auf dem weiten Weg ist eine unsichtbare Grenze und wenn Du die überschritten hast, dann vergiss es einfach, das Gesetz. Ist besser so.

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Big Daddy Schultz

Die Ranch jedenfalls von BIG DADDY SCHULTZ liegt mitten in der Wüste. Wenn Du wie Mabel mit der Eisenbahn unterwegs bist, dann fährst Du tagelang durch die Prairie und dann weiter mit der Postkutsche, nur Wüste und sengende Hitze, bis Du an so einem schmiedeeisernen Tor ankommst, und dahinter liegt dann die Ranch.

Die bescheidene Hütte von BIG DADDY SCHULTZ ist ein Nachbau in Originalgröße von Schloss Neuschwanstein. Und deshalb hat der das Holzschild mit „Sweet Water“ wieder abmachen lassen und das Ganze „New Neuschwanstein“ getauft, aber ohne Schild. Und die Berge drum herum hat er auch gleich nachgebaut, nur nicht ganz so hoch, sondern gerade so, dass die Fotografen ein schönes Bild machen können. Innen hat er noch ein paar Extras einbauen lassen, die sich der Kini nicht leisten konnte. Drum herum der schönste Park mit Grün und blühenden Blüten, da könnte sich der König, der Ludwig, ’ne Scheibe abschneiden. Im Moment blühen gerade die Orangen und das ist besonders schön. Und mitten in dieser Pracht schwebt ein Wesen von nahezu überirdischer Schönheit. Elfengleich steht sie unter den Bäumen und dass ihre zarten Füße in zierlichen Schuhen überhaupt den Boden berühren, das glaubst Du nicht. Ihr Name ist Klara. Von rosiger Blässe ist ihr makelloser Teint, das lange seidene Haar schmiegt sich orangenfarben um ihre anmutigen Schultern. Das ist nicht gefärbt wie bei den meisten orangehaarigen Mädchen, sondern alles echt. Hat sie von ihrer Mutter geerbt, die leider nicht mehr unter uns weilt.

So zart und anmutig ist dies edle Kind, dass alle Kreaturen, sei es ein Mensch, sei es ein Reh oder sei es ein Häschen, es mit Liebe betrachten. Sie ist die Schönste im ganzen Zwischenreich. Und doch ist es ihr schwer um’s Herz.

Denn erst kürzlich ist ihre über alles geliebte Mutter verstorben. Nicht ihre leibhaftige Mutter, die ist schon lange tot, nein, es war ihre Stiefmutter Nummer vier oder fünf. In ihrem Kummer weiß Klara das nicht mehr so genau. Klara liebte alle ihre Mütter wie nur eine Tochter eine Mutter lieben kann. Nun ist sie wieder ganz allein. Ab und zu geschieht es, dass sie bis zum schmiedeeisernen Tor gelangt auf ihren Erkundungsgängen. Dann schaut sie hinaus aus dem kühlen Park in die endlose, glühende Wüste. Ganz in der Nähe des Tores verdorren ein paar Skelette im Sand.

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Irgendwo

…im Nirgendwo sitzt sie fest, die Mabel. Seit Tagen schon. Und die Hitze macht sie fertig. Nach 2.344 Meilen mit der Eisenbahn endeten die Gleise in einem Kaff mit dem hochtrabenden Namen Capital City. Immerhin waren da noch sowas ähnliches wie Häuser. Und eine Telegrafenstation. Und wieder keine Nachricht von Habacook. Sie wartete drei geschlagene Tage in diesem Drecksnest, einer Ansammlung von Bretterverschlägen um ein stinkendes Wasserloch, und einem „Hotel“, oder besser gesagt einem Schnapsausschank mit ein paar Mietbetten.

Habacook hatte mit ihr verabredet, dass sie nur gemeinsam mit ihm bei diesem Witwer erscheinen soll. Er würde ihr in jedem Fall eine Nachricht schicken. Nun war sie an ihrer letzten Station angekommen. Nach unten in den Saloon geht sie nur, wenn es unbedingt sein muss. Die Fressen, die da herumhängen, flössen ihr Angst ein. Und das will was heißen. Zum Glück hängen aber auch die nur herum wie Leguane und rühren sich nur wenn sie zum Glas greifen.

Als sie wieder hochkommt in ihr Zimmer, steht da eine Wanne mit Schaumbad. Ein Schaumbad ! Hier ! Wahrscheinlich ist sie jetzt schon im Delirium, aber das ist ihr sowas von scheißegal. Sie setzt sich einfach in die Wanne und auf einmal steht neben Mabel eine schmale, junge Mexikanerin, oder ein Halbblut, und in ihrer Rechten hält sie einen echten Schwamm. Keine Ahnung, ob sie aus der Hölle kommt, oder aus der Tür hinter ihr, Mabel läß sich von ihr verwöhnen, und als sie aus der Wanne steigt, ist sie ein neuer Mensch. Das Mädchen hüllt Mabel in frische Tücher, dreht ihr die Locken, und steckt sie zu einer kecken Frisur. Anschließend schnürt sie Mabels Taille auf 45 cm, damit der Busen schön nach oben gedrückt wird. Sie holt ihr das schwarze Taftkleid aus dem Koffer, das mit den Rüschen und dem Hinternpolster, und so schreitet Mabel die Treppe hinab, mit Hütchen, Halbschleier und allem Drum und Dran.

In diesem Moment kommt die Kutsche. Sechs Rappen mit schwarzen Straußenfedern auf dem Haupt. Auch die Kutsche ist in elegantem schwarz, die Vorhänge schwarz, und ebenso die Straußenfedern an den vier Kanten des Kutschendaches. Alles in schwarz, auch der Teppich, der sich wie von selbst ausrollt bis zur Veranda des Saloons. Mabel strafft die Schultern, spannt ihr rosa Sonnenschirmchen auf, und schreitet über den Teppich zur Kutsche. Noch einmal dreht sie sich um. Gerade in diesem Moment tritt das Halbblut aus dem Schatten und Mabel ist es als gewahre sie einen Glanz in seinen Augen wie nur Tränen es vermögen, die Augen zum Glänzen zu bringen.

Und ab geht es im Galopp hinaus in die Wüste. Irgendwann schaut Mabel aus dem Fenster. Rechts und links ein Wald riesiger Kakteen, dann wieder nichts als Wüste. Als die Sonne tief steht und den Himmel in blutrote Tinte taucht, da erhebt sich am Horizont wie eine Fata Morgana im goldenen Glanz der letzten Strahlen Schloss New Neuschwanstein.